Der Mensch - „ein Entwurf auf etwas Ungeheures hin“. Romano Guardinis Blick auf Christliche Anthropologie

Auf Schloss Trumau und an der Hochschule Heiligenkreuz dem christlichen Menschenbild des Romano Guardini nachzugehen war das Unterfangen vom 31. Mai bis 1. Juni 2024. Die gemeinsam veranstaltete Tagung war ein weiterer Schritt in der Vertiefung der Kooperation zwischen der Phil.-Theol. Hochschule Papst Benedikt XVI. Heiligenkreuz und der Katholischen Hochschule ITI (Trumau). Mehr als 100 Teilnehmende fanden sich so im Heiligenkreuzer Kaisersaal und auf dem Schloss Trumau ein, um der Anthropologie eines der großen Theologen des 20. Jahrhunderts bei Vortrag und Diskussion nachzugehen. Unter den Teilnehmern fanden sich neben Studenten der beiden Hochschulen Professoren, Priester und viele weitere Interessierte. Die Moderation übernahmen jeweils abwechselnd die beiden Organisatoren der Fachtagung, Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Heiligenkreuz) und Dekan Prof. Dr. Michael Wladika (Trumau).

 

Mit großer Freude eröffnete Abt Dr. Maximilian Heim OCist (Heiligenkreuz) am Freitagvormittag die gemeinsame Veranstaltung der beiden Hochschulen und hieß die Organisatoren, Vortragenden und Gäste in Heiligenkreuz willkommen. Dass man Guardini heutzutage noch lese, so führte der Großkanzler der Hochschule Heiligenkreuz in das Tagungsthema ein, sei daraus zu verstehen, dass er sich in seinem Denken vom Glauben hätte formen lassen.

 

Prof. Dr. Wolfgang Klausnitzer, Rektor der Hochschule Heiligenkreuz, sprach von der Tagung als einer Frucht der Kooperation zwischen den beiden in Niederösterreich so nahe beieinander gelegenen Hochschulen. Er hob Guardini als Paradebeispiel eines Universalgelehrten hervor, der Theologie, Philosophie, Kunst und Literatur zusammenzubringen verstanden habe.

 

Nach diesen eröffnenden Worten machte Prof. Gerl-Falkovitz den Beginn mit den Vorträgen. In ihrem programmatischen Vortrag zeichnete sie Guardinis Grundentscheidung nach, von Gott her über den Menschen nachzudenken. Gott sei nach Guardini vor allem als der Lebendige zu verstehen, der selbst drei Anfänge (Schöpfung, Erlösung, Wiederkunft Christi) aufweise. Erst dank der Initiative Gottes werde der Mensch sich selbst offenbar. Von Gott angerufen, bestehe das Leben des Glaubens im Leben in der Einheit mit Christus. Diese Mitverantwortung des Menschen geschehe in Freiheit und bedeute ein Ringen, denn „die Liebe will, dass man mit ihr kämpft“.

 

Ausgehend von der aktuellen Rechtslage, was den Schutz des menschlichen Lebens angeht, arbeitete Dr. Albrecht Voigt (Dresden) die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens mit Romano Guardini, Robert Spaemann und Joseph Ratzinger heraus. Durch den Bruch mit dem (bei Spaemann so deutlich formulierten) Grundsatz, dass es kein gutes Töten geben könne, wäre dem Utilitarismus auch in Fragen des menschlichen Lebens in der deutschen Gesetzgebung die Tür geöffnet worden. Dagegen sei es ein hervorragender Moment der Anthropologie Guardinis, dass er zweck-lose, aber dennoch in den Vollzügen sehr sinnvolle Akte kenne. Die Gelegenheit für einen solchen an Sinn reichen Akt ergreifend, schlossen sich viele dem Mittagsgebet in der Stiftskirche an, ehe es in die Mittagspause ging.

 

Am Nachmittag ging Prof. Wladika der Verarbeitung der Gestalt des Sokrates bei Guardini in drei Schritten nach. Zunächst würde Sokrates’ Fragen nach dem Wesen der Dinge mythische Vorstellungen reinigen. Als ein Mensch sodann, der ganz nach dem Zeit-freien und Transzendenten gelebt habe, habe Sokrates exemplarisch gelebt, sein Leben sei intensive Teilhabe am Allgemeinen und Ewigen gewesen. Als das Ewige in so hohem Maß darstellend sei Sokrates ein Vorläufer Christi gewesen, doch bleibt er natürlich Vorläufer, er ist nicht wesensgleich mit Gott.

 

Die Nachmittagseinheit abschließend trug Prof. Dr. Domenico Burzo (Bari), dessen italienische Ausführungen von Joseph Wladika verdeutscht wurden, über die Schichten der menschlichen Natur bei Romano Guardini und Pavel Florenskij vor. Beide verstünden den Menschen als eine Gesamtheit verschiedener Schichten. Das Eigentümliche des Menschen bestünde darin, dass er eine Leib-Seele-Einheit sei, wobei das Herz die Mitte bilde, die Organisches und Geistiges zu einer Einheit forme. Die durch das organisch-geistige Gefüge des Menschen bestehende Innen-Außen-Schicht werde durch die Innen-Oben-Dynamik geweitet, in der der Mensch sich selbst innewohne und zugleich gleichsam über sich stehe. Im transempirischen Punkt schließlich finde der Mensch ein tiefstes Innen, das jedoch als transzendent erfahren werde. Diesem gegenüber erschiene alles andere als Außen. Insofern er in dieser tiefsten Schicht letztlich nur durch die Begegnung mit Gott zur Vollendung gelangen könne, sei der transempirische Punkt paradoxerweise auch als ein Außen zu verstehen. Im Innersten sei der Mensch somit Pforte, Erschließung, auf Gott hin ausgerichtet.

 

Nach der Teilnahme am Vespergebet der Mönche klang der erste Tagungstag mit dem Abendessen aus.

 

Nach dem Eintreffen auf Schloss Trumau hielt der Rektor des ITI, Prof. Dr. Bernhard Dolna, ein Grußwort, in dem er auf eine Predigt Guardinis zu sprechen kam, in welcher dieser eine Gemeinsamkeit zwischen Thomas von Aquin und Johann Wolfgang von Goethe aufspürte. Sie teilten einen ganz offenen Blick, mit dem sie, ohne etwas zu wollen, in die Welt schauten. An dieser Haltung wäre aber nichts Naives, vielmehr handele es sich um einen ‚Kinderblick im Auge des Gereiften‘.

 

Aufgrund einer Erkrankung konnte Prof. Dr. Harald Seubert (Basel) seinen vorgesehenen Vortrag nicht halten. Prof. Gerl-Falkovitz sprang mit einem Vortrag zur Frage der Technik bei Guardini ein. Die Maschine sei für Guardini zu seiner Zeit schon nicht mehr eine Versenkung in das Ding, um es zu kultivieren. Technik sei vielmehr zu einem ‚Verfügen über‘ geworden, selbst Kunst werde nicht mehr geschaffen, sondern produziert. Dabei würde man Guardini grob missverstehen, verstünde man ihn als sich der Technik reaktionär verschließend. Ähnlich wie die Caracalla-Thermen oder der Petersdom Grenzen sprengten und zu einer Veränderung des Menschen führten, bedürfe es angesichts der Technik, von welcher es mehr - aber: christlichere - bräuchte, einer Neuformung des Menschen. Die Christenheit stehe vor einer Herausforderung, die zu einer Religiosität einer noch zukünftigen Zeit führen werde.

 

P. Mag. Philemon Dollinger OCist (Heiligenkreuz) adressierte die Thematik der Sprache bei Guardini. Bezüglich des Wesens der Sprache betone Guardini den Unterschied zu tierischen Lauten, die Sprache gehe aus der Wesenserkenntnis hervor. Zudem stelle die Sprache für den Menschen nicht einfach Mittel zur Kommunikation dar, vielmehr sei Sprechen Leben, jeder Gedanke sei bereits ein inneres Sprechen. Die Wahrheit sei Rückgrat, Mark und Richtungsbewusstsein der Sprache, durch Übertreibung und Lüge werde ihr Gewalt angetan. Bezüglich der religiösen Sprache unterscheide Guardini zwischen echter religiöser Sprache, durch welche der Redende aus eigener Erfahrung spreche und unrichtigem religiösen Sprechen, wenn religiöse Wörter zu gesellschaftlichen oder politischen Zwecken verwendet oder schein-religiöse Empfindungen ausdrückt oder ausgelöst würden. Sprechen gäbe es zudem für Guardini nur in Koppelung mit Schweigen. Wirklich sprechen könne nur, wer auch schweigen kann. Schweigen bestünde in einem Offen-Werden für den sich darbietenden Sinngehalt, letztlich für den Logos Gottes.

 

Zu Mittag feierte Eminenz Christoph Kardinal Schönborn, Großkanzler des ITI, die Heilige Messe. In seiner Predigt reflektierte er - ausgehend vom Tagesheiligen, dem Märtyrer und Philosophen Justin - über die christliche Philosophie (etwa eines Guardini) und deren Spekulationsraum, der auf das Lehramt der Kirche abgestimmt bleiben müsse. Im Hinblick auf im Rahmen des weltkirchlichen Synodalen Prozesses aufgerufene Fragen bezüglich der sakramentalen Weihe von Frauen, gab der Erzbischof von Wien zu bedenken, ob die Braut-Bräutigam-Symbolik (Christus als Bräutigam und seine Braut, die Kirche) nicht doch bedeutsam mehr als eine rein disziplinarisch (und somit leicht aufhebbare) Realität sei. Das so männlichen Christgläubigen vorbehaltene Weihesakrament stünde in einem größeren theologischen Raum. Dieses Thema sei wesentlich zu bedenken.

 

Die frühe Nachmittagseinheit wurde in der Form eines Seminars gestaltet. Der noch unveröffentlichte Aufsatz „Der Mensch. Umriss einer christlichen Anthropologie“ (1937) von Guardini bildete die Textgrundlage der von Prof. Gerl-Falkovitz und Dekan Prof. Wladika geführten Lektüreeinheit. Der Text führte zu grundlegenden anthropologischen Aussagen des Theologen, insbesondere zum Ausgangspunkt von der Offenbarung Gottes. Guardini diagnostiziere einen stark funktionalen Charakter im heutigen Menschenbild. Die Psychologie und Soziologie zeichne ein determiniertes Bild vom Menschen, während andere Denkrichtungen ihn überhöht als einen Demiurgen verstünden. Die dezidierte Hinwendung zur Offenbarung in Guardinis Anthropologie gipfelte in seiner Überzeugung, dass der Mensch sich erst in Jesus Christus wahrhaft erkenne.

 

Im Schlussvortrag ging Rektor Dolna auf die Bekehrung Guardinis ein, die ihn dazu angestoßen hätte, sein Leben der Kirche (und somit: Gott, aber eben wie ihn die Kirche versteht) zu schenken. Auch für die Menschheit wäre mit dem Blick weg von der Neuzeit und ihrem Subjektivismus und hin zum Mittelalter (im Sinne einer Suche nach einer nicht-subjektiven Wahrheit) eine Art Umkehr nötig. Dabei würde Gott in der Theologie wieder in seiner den Menschen anziehenden Gesinnung (nicht so sehr in seiner Allmacht) in die Mitte rücken. Für die Anthropologie ergebe sich aus dieser Sicht, nicht nur den Menschen als Bild Gottes zu sehen, sondern zu begreifen, dass Gott sich als Urbild des Menschen gewollt und so sich selbst die Möglichkeit eröffnet habe, Mensch zu werden.

 

„Vieles ist ungeheuer, nichts ist ungeheurer als der Mensch.“ (Sophokles, Antigone, 332-333) Dieser, auch im Zuge dieser Fachtagung aufgebrachte, vielzitierte Satz aus Sophokles’ Antigone war eine Art geheimer Weggefährte durch die Vorträge, Seminareinheit und Diskussionen. Denn der Mensch ist in ein Ringen mit der Liebe hineingerufen, ist zweck-freier Handlungen gewürdigt, berufen, ein exemplarisches Leben wie das des Sokrates zu führen, und vermag dennoch, an der Unverfügbarkeit seines Lebens zu rütteln. Dies geschieht, wenn sein Herz sich der Ausrichtung auf Gott verschließt. Das ‚Ungeheuer‘ Maschine (mithin die Technik) stellt ihn vor eine gewaltige Herausforderung, die eine ungeahnte Neuformung des Menschen erfordern wird. Der Mensch ist zu wahrer (objektiver) Erkenntnis des Wesens der Dinge begabt und wenn er dies mit einem lauteren Blick tut, kann er Gott begegnen. Freilich offenbart sich erst im Jesus Christus die Höhe des Menschlichen.

 

Walther H. Wladika