2. Juni 2018: Mimesis – eine Weise des Seins?

Zweite Literaturtagung an der Hochschule Trumau bei Wien

Bei der Auseinandersetzung mit Literatur kommt man um den Begriff der Wirklichkeit nicht herum. Das ist das große, dahinterliegende Thema, dem sich diese Tagungen angesichts einer Welt widmen, die sich beliebig selbst deutet. Der Pfad führt nun von der „Lesbarkeit der Wirklichkeit“, die im letzten Jahr – der als Reihe angelegten Tagungen – verhandelt wurde, zu einem weiteren wichtigen Begriff, der vor allem mit dem Schaffensakt der Kunst assoziiert wird: Mimesis – Nachahmung. Aber die unterschiedlichen Herangehensweisen klären nicht einfach einen Begriff, sondern berühren ein Prinzip des Seins, des Lebens.

Den Auftakt machte Rechtswissenschafter Prof. Dr. Christiaan Alting von Geusau, Rektor der Hochschule Trumau. Rechtsphilosophie ist als Unterrichtsfach an der Hochschule Teil des Studiums Generale sowie des mit September startenden neuen Studienprogramms Bachelor of Liberal Arts. Prof. Geusau griff das Thema Wirklichkeit und Beliebigkeit unter dem Aspekt auf, dass „die Gefühlskultur den Rechtsstaat untergräbt“ und erörterte an dem „noch“ fiktiven Beispiel, ob ein Zoomitarbeiter seine geliebte Schimpansin heiraten dürfe, dass „Gefühle“ keine stabile Grundlage für Recht und Rechtsordnung, ja für Gerechtigkeit selbst sein könnten. Nach diesem Impuls, der auf eine Realität verwies, die uns über weite Strecken bereits eingeholt hat und auf die immer wieder Bezug genommen wurde, stellte sich Pater Dominicus Trojahn aus dem Stift Heiligenkreuz der Frage, ob sich der Mensch mit der Kunst nicht vertan habe, „wann immer er sein respektives Werk als (formales) Zitat jener göttlichen Schöpfung angibt, die als donatio essendi gar nicht kopiert werden kann.“ Es ließe sich zeigen, so Pater Dominicus, dass der exklusiv theologische Begriff der Schöpfung die Erwartung einer Antwort einschließe und zwar, wenn dabei der Charakter der Gabe bedacht werde. „Die Kunst ist ein Teil der Schöpfung, eben jener vom Schöpfer erwartete An-Teil an Verständnis, durch den die Schöpfung von Gott selbst her abgeschlossen wird.“, so Pater Dominicus. Die Kunst habe ihre Funktion in einem kommunikativen Geschehen, das von Gott selbst eröffnet worden sei. Dieses Geschehen würden wir Schöpfung nennen und Gottes erster Zug darin sei die Gabe des Seins. Den zweiten Zug tue die Kunst, indem sie dem, was – in der Weise der Schöpfung – geworden sei, die semantische Gestalt des Verstehens hinzufüge. „So gehört zur Natur eines jeden Dinges eine eschatologische Dimension, eine Bewegung – die hier vorläufig und unbeholfen – Verbesserung genannt wird, die dann zu deren, der Sache ontologischem Bestand anfänglich bereits, also immer schon, dazugehört und dazugehört hat.“

„Das Kunstwerk ist Phänomen im Wortsinn: eine Offenbarung. Phänomen ist das, was sich von sich her zeigt. Und der Künstler lässt erscheinen, was sich zeigen will,“ leitete Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Vorstand des Europäischen Instituts für Philosophie und Religion an der Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz, ihre Ausführungen ein, die sich u.a. auch auf Erich Auerbachs „Mimesis“, dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, bezogen. Dieses Werk zeige anschaulich, „wie tief und unterschiedlich menschliche Gestaltungskraft arbeitet, Welt zeichnet, erhöht, entleert oder auch zerstört.“ Prof. Gerl-Falkovitz spannte den Bogen ausgehend von „der Macht der Sprache über die Wirklichkeit“ zu deren „verflachtem Reden“ und „Fertigteilsprache“ bis hin zu „lebendiger Mimesis“ und stellte nach Auerbach Homers Erzählung von der Heimkehr des Odysseus und die biblische Erzählung vom Opfer Abrahams in einen Vergleich. Sie führte dann über den Ansatz, dass Sprache Wirklichkeit schaffe, hinein in „Weltschöpfung durch das menschliche Wort“ und wies in ihren Schlussbetrachtungen auf das Wort hin, das schon im Anfang schöpferisch war, „und Schöpfung wird kraft des menschlichen Wortes nochmals geschaffen.“

In ihrem Vortrag „Aspekte des Mimetischen in deutschsprachigen Romanen der 1920er Jahre“, habe sich die Tragödie des Ersten Weltkriegs das Erzählen der Wirklichkeit geprägt, führte die Germanistin Dr. Gudrun Trausmuth aus. Literatur als Seismograph des Lebensgefühls habe die Erschütterung auch als Bruch zwischen dem Begriff und seinem Inhalt registriert: In Kafkas „Prozeß“ werde „Im Dom“ die als Predigt konstruierte Form mit der vom Gefängniskaplan erzählten „Türhüterlegende“ gefüllt; diese stelle ihrem Material nach eine Negation unterschiedlichster biblischer Sätze und somit inhaltlich eine Anti-Predigt dar. Kritik am Einsatz der Sprache und Leiden an ihrer unzureichenden Fähigkeit, die Wirklichkeit zu fassen, so Dr. Trausmuth, seien in J. Roths „Die Flucht ohne Ende“ und „Der stumme Prophet“ zentral. Im Bewusstsein dieses Ungenügens des wesentlichen Instruments des Mimetischen habe sich die Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit auf eine „Fiktion des Beobachteten“ eingelassen – nüchtern und objektiv. Dem Mimetischen als Spiegelung und Deutung von Sinnverlust stellt Le Fort im Roman „Das Schweißtuch der Veronika“ eine andere Dimension der Wirklichkeitswahrnehmung gegenüber: Sie deutet jede ihrer Gestalten im „großen Lesezeichen des Kreuzes“.

Dekan Prof. Dr. Bernhard Dolna, Judaist und Theologe, rückte in seinem Vortrag die hebräische Tradition in den Blick. Mimesis hänge auch mit der Erinnerung zusammen, aber vielleicht könne man diese als ein Inne-Werden interpretieren und damit würde sich ein Weg öffnen, um den Begriff in den Kontext des Hebräischen zu stellen. Der Bildner Gott bilde sein Geschöpf, den Menschen, indem er ihn die Welt als eine Ansprechende begegnen lässt und ihn zu Tat und Wort, zu Ant-Wort herausfordere: zur Entsprechung. „Dieses Entsprechen ist eine Art Beteiligung an der Weltschöpfung, ein Fortsetzen, ein Neu-Schaffen der Welt oder ein Mit-Schaffen an der Welt. Indem wir auf das ‚Geschehenswort‘ eingehen, es bildend verwirklichen, werden wir wirklich. Auch ein Dichter bildet uns das Wort.“, so Prof. Dolna. Mimesis werde durch ein neues Element, einen neuen Beitrag, einen transzendenten Impuls, der die Welt neu erschaffe, durch unser Tun, durch unser Schreiben durchbrochen. „Alles, was Menschen sagen, was Dichtung sagt, hat eine Perspektive des Vorwortes. Das eigentliche Wort spricht Gott selbst.“

Zum Abschluss der Tagung fand noch ein sehr anregendes Podiumsgespräch statt, bei dem mehr Fragen als Antworten offen blieben, „aber das, was einen übersteigt, ist das Anziehende und der Stoff, aus dem sich die nächsten Literaturtagungen bilden werden.“ (Vorabdruck Dt. Tagespost)

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